Donnerstag, 30. August 2007

Überschreitung Fiescherhörner (Groß F. 4049m, Hinter F. 4025m)

Gegen 21:00 Uhr hatten wir auf der Hütte alles für den nächsten Tag vorbereitet. Wir hatten unsere Trinksysteme befüllt und die Rucksäcke soweit möglich für den nächsten Tag gepackt. Die über 120 Schlafplätze der Hütte waren, wie schon erwähnt, alle belegt. Je zwei Personen teilten sich in den Lagern eine Matratze, die ca. einen Meter breit war. Ob wohl 1978, als die Hütte gebaut wurde, die Bergsteiger alle noch kleiner und dünner waren? Früher waren die Menschen ja ein bisschen kleiner, aber ich dachte, das wäre schon länger her gewesen.


Auf dem obigen Foto sieht man einen fast ausgeschlafenen und um 3:20 Uhr aufgestandenen Bergsteiger, der schon seit mehr als einer Stunde über den Firn gelaufen ist und sich nun auf seinem Stock abstützen muss. Das arme Kerlchen war während der kurzen Nacht mit über 10 anderen rauen Bergsteigergesellen in einem Matratzenlager eingepfercht. Diese gaben die absonderlichsten Geräusche von sich, knisterten und scharrten in ihren Rucksäcken herum, sprangen auf und mussten aufs Klo oder unterhielten sich noch leise im durchdringenden Flüsterton mit ihrem Partner. Unser lustiger, an der Stirn blinkender Freund hatte es dennoch geschafft eine Weile zu schlafen und war mit seinem Seilpartner um 4:11 Uhr in die fast sternenklare Nacht aufgebrochen.


Das Ziel unserer beiden Helden waren die Fiescherhörner. Als erstes wollten sie das Groß Fiescherhorn erklimmen, das wir nun oberhalb erkennen können. Die beiden trotteten angeseilt durch eine gefrorene Märchenlandschaft aus Schnee und Eis. Ihr Mut und ihre Tatkraft wurden bis zum nächsten Foto schon einige Male durch gefährliche Gletscherspalten auf die Probe gestellt. Diese Spalten verstecken sich gerne unter losem Schnee, von dem es seit den Unwettern der letzten Tage einigen gab. Dort lauern sie auf arglose Bergsteiger und warten ihre Chance ab, diese zu verschlingen.


Unsere beiden Kameraden, von denen die Geschichte handelt, waren jedoch erfahren und schon so mancher Gletscherspalte ausgewichen. Falls sie doch einmal von einer überrascht werden sollten, hatten sie vorgesorgt und waren zum Kämpfen bereit. Es verband sie ein unheimlich starkes Band, welches einer Kraft von 510 daN standhalten konnte. In der Mitte dieses Bandes (in ihrer Sprache: „Halbseil“) hatten die beiden einen magischen Knoten platziert (in ihrer Sprache: „Mach einfach ein paar Knoten rein, bis es dick genug aussieht.“). Würde nun einer der beiden von einer Spalte angegriffen werden, würde diese ihn hinab in ihren gierigen Schlund ziehen. Das Seil zwischen den beiden würde sich in den Rand der Spalte fressen, wie eine ausgehungerte Maus in ein Stück Sahnetorte. Wenn der dicke Knoten den Rand der Spalte erreicht, wäre es so, als ob eine Katze die Maus am Schwanz packen würde. Eine Maus aus einem Stück Sahnetorte zu ziehen ist sicher einfacher, als den Seilpartner aus einer Spalte, aber ich glaube, so kann man es ganz gut verdeutlichen.


Ein eisiger Wind umfing unsere Freunde, als sie sich die Hänge hinauf zum Grat schafften, der sie zum Gipfel leiten sollte. Sie hofften auf ein baldiges Aufgehen der Sonne, die sie wärmen und beschützen würde. Um sie herum sendete die Sonne schon ihre Vorboten aus und zauberte gewaltige Farb- und Lichtspiele an den Himmel. Es sah aus, als ob der jährliche Magier-Wettbewerb im Wolkenfärben ausgetragen werden würde. Aber ich glaube nicht, dass es so war, denn dann sind normalerweise viel mehr Fotografen zugegen, die ihre Werke später in den Ansichtskartenläden im Tal anpreisen.


Es hatte die letzten Tage viel geschneit. Bei einem Gespräch am Lagerfeuer den Abend zuvor hatten unsere Protagonisten erfahren, dass sich seit den Schneefällen schon andere an den Fiescherhörnern versucht hatten, aber ihre Banner wegen des schlechten Firns streichen und zurückkehren mussten.


Nun denn, die Helden der Stunde waren nicht die einzigen, die sich von den Fiescherhörnern keine aufsetzen lassen wollten. Vor ihnen war die Spur von zwei weiteren unerschrockenen Recken zu sehen. Einer der beiden war übrigens ein „Local“, das ist ein kleines Volk von sehr guten und unerschrockenen Bergsteigern mit fast unbegrenzter Kondition. Dieser „Local“ hatte am Tag zuvor als Erster (und bis auf seine möglichen Partner) einziger den Mönch über den „Nollen“ bestiegen. Eine Tour, von der unseren beiden Helden wegen des schlechten Firns mehrfach abgeraten worden war.


Der Spur folgend erkletterten sie die steilen Firnpassagen und luftigen Grate, nur um ab und zu einen Blick auf das atemberaubende Wolkenspiel zu werfen.


Vor dem Erreichen des letzten Felsstückes zum Gipfel wurde es jedoch noch einmal richtig ernst. Ehrfurchtsvoll blickten unsere Freunde auf ein sehr steiles Felsstück, welches eine dicke Schneeauflage hatte. Sie sahen die tiefen Spuren ihrer Vorgänger, die den Schnee weit herunter getreten hatten. Es war fraglich, ob die pulverige, lockere Auflage sie noch halten würde. Also begannen sie, mit ausgefeilter Knoten- und Seiltechnik (Halbmastwurf mit Stand an einer langen Bandschlinge um einen Block) den Partner zu sichern. Die Situation verschärfte sich noch einmal, als das Seil zu Ende war. Doch der Sichernde konnte dieses Problem lösen, indem er aus dem großen blauen Beutel an seinem Rücken weitere Meter Seil hervorbrachte. Sie waren gerettet und schafften die letzen Meter.

Und… ja, da sieht man ihn: Held 1 mit vor Stolz geschwellter Brust auf dem Gipfel des sagenumwobenen Groß Fiescherhorns.


Um 8:18 Uhr hatte auch sein Freund und Gefährte Held 2 diesen 4048,8m hoch liegenden Punkt erreicht. Sie bereiteten dort zum Feiern ihres Erfolgs eine köstliche Mahlzeit zu, welche sie mit Genuss in sich aufnahmen. In ihrer Sprache trägt diese Speise den Namen „Müsliriegel“ und es gibt Gerüchte, dass diese nach ein paar Touren den Bergsteigern zum Hals heraushängen.


Ihre Kräfte waren nach dieser kurzen Stärkung und dem Gipfelerfolg wieder von neuem erwacht. Wegen des eisigen Windes machten sie sich bald auf, den Gipfel, welchen sie über den NW-Grat erreicht hatten, über den Grat der Morgen- und Mittagssonne (SO-Grat) wieder zu verlassen. Damit war ihnen die Überschreitung des Groß Fiescherhorns gelungen.


Auf dem Weg zum Hinter Fiescherhorn zeigte der Gott des Windes sich noch einmal in seiner vollen Stärke. Aufgewirbelte Eiskristalle jagte er über den Firn. Dieser hatte sich noch nicht wieder richtig gesetzt, sodass unsere Freunde auf ihrem Weg durch die Flanke des Hinter Fiescherhorns teilweise bis zu den Knien versanken. Der Windgott wollte es ihnen nicht leicht machen. Er zerrte an ihrer Kleidung und wirbelte ihnen Schnee wie aus einem Sandstrahlgebläse ins Gesicht. Sofort verschwanden ihre Spuren wieder und würden auf dem Rückweg nicht mehr zu sehen sein.


Unsere Helden erreichten den Grat, welcher über Firn und einige Felsen zum Gipfel führte. Der Windgott wollte es ihnen nicht so einfach machen und versuchte sie vom Grat zu heben. Nur wer sich würdig erweisen würde, sollte den Gipfel erreichen. Des Öfteren mussten die Gefährten sich niederkauern und abstützen, um in den starken Böen nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Sie blieben hart und bewiesen Willenskraft, die sie, wie ober- und unterhalb zu sehen, auch noch auf den Gipfel des Hinter Fiescherhorns in 4025m Höhe brachte.


Held 1 lutscht in dem obigen Bild übrigens nicht an seinem Daumen. Das machen Helden nicht. Er trinkt aus seinem fein gearbeiteten Trinksystem von Camelbak mit abstellbarem Trinkventil, das man bei einem bekannten Händler in Hildesheim erstehen kann. Man findet diesen Händler, wenn man sich dort den Weg zur Bergsportzentrale weisen lässt.


Nach der erfolgreichen Besteigung zweier 4000er an einem Tag bei widrigen Verhältnissen, stiegen die erschöpften Gefährten vom Fieschersattel auf das Ewigschneefeld ab. Dieser Abstieg erforderte noch einmal viel Konzentration, da er sich durch eine relativ steile Firnflanke mit einigen Felsen zog. Das Ewigschneefeld trägt seinen Namen übrigens daher, dass es jedem Menschen, der es hinaufläuft, ewig vorkommt, bis er sein Ende erreicht. Der Wind hatte jedoch nachgelassen. Zwei Seilschaften hatten heute seiner Macht widerstanden und die Aufstiege geschafft. Eine dritte hatten er und der schlechte Firn abgeschreckt und zur Umkehr bewogen. Er hatte seine Arbeit getan und brauchte die siegreichen Helden nicht weiter zu verfolgen.
Sie bewiesen abermals Stärke und konnten schon innerhalb von zwei Stunden dem ewigen Schneefeld entkommen. Um 14:00 Uhr, fast zehn Stunden nach ihrem Aufbruch, fanden sie sich wieder an der Hütte ein und versuchten ein wenig Schlaf nachzuholen, da es auch morgen wieder ein neues Abenteuer zu bestreiten gab.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

well written! considerable performance.

Anonym hat gesagt…

Du kannst ja richtig gute Geschichten schreiben! Ich bin begeistert.
Gabi