Mittwoch, 15. August 2007

Bietschhorn (3934m) – Westsüdwest-Grat

Fast jeder Bericht auf dieser Seite wurde mit dem Wetter eingeleitet. Das liegt daran, dass wir hier eine besondere Form von Wetter haben: Es gibt hier nur stabile Wetterlagen. Diese dauern jeweils zwei bis drei Tage und sind gut oder schlecht.
Wir befanden uns gerade wieder in einer stabilen Wetterlage, die uns mit gutem Wetter verwöhnte und sogar drei Tage anhalten sollte. Nachdem wir am ersten Tag die Route am Tällistock geklettert hatten und erst spät nach Hause kamen, beschlossen wir trotzdem, den nächsten Morgen gleich wieder früh aufzustehen, um ins Lötschental zu fahren und zur Bietschhornhütte aufzusteigen.



Wie vom Wetterdienst über die kostenpflichtige Hotline versprochen, war es warm und sonnig, was man auch daran ablesen kann, dass wir kurzärmelig und –hosenbeinig den Hüttenweg hinaufmarschierten.


Der Weg war im unteren Teil noch etwas steiler als auf den Fotos und wir benötigten etwas über 2,5 Stunden. Ausgeschrieben war der Weg mit 3,5 Stunden, aber bei einer geglückten Route am Vortag, strahlend blauem Himmel und einer im folgenden Bild abgelichteten Aussicht auf den Gipfel, der für den nächsten Tag geplant war, ging alles irgendwie leichter und schneller.


Die kleine Hütte, die nun ober- und unterhalb zu sehen ist, heißt Bietschhornhütte und umfasst 23 Schlafplätze (gegenüber einem langjährigen Gerücht, es seien 40).


Wir hatten uns telefonisch angemeldet und wurden wie alle anderen Gäste von der Hüttenwartin mit einem Tee begrüßt. Sie ist alleine auf der Hütte und bewirtschaftet diese selbständig mit allem, was dazugehört. Sogar die meisten frischen Sachen trägt sie per Rucksack aus dem Tal hinauf, damit nicht alles per Hubschrauber geliefert werden muss.


Das Frühstück war angesetzt auf 2:30 Uhr, eine Zeit, zu der die meisten zu Hause wahrscheinlich gerade einschlafen. Eine lange Nacht wurde es also nicht für uns. Unsere Wecker hatten wir auf Punkt halb zwei gestellt, um ein maximales Maß an Schlaf genießen zu können. Es kam jedoch nicht zu ihrem sanften Piepen, da einige Leute aus unserem Lager (auf der Hütte gab es genau ein Matratzenlager) wohl die ersten am Berg sein wollten und schon eine Viertelstunde früher aufstanden und herumpolterten. Am Vorabend war klar geworden, dass fast alle Seilschaften die gleiche Tour gehen wollten. Da kann man verstehen, dass die, die meinen, sie seien schneller als andere, lieber die ersten sein wollten, da das Überholen auf einem Felsgrat nicht immer ganz ohne ist.

Eigentlich war es viel zu früh. Um viertel nach drei von der Hütte zu starten, das ist ziemlich hart. Normalerweise ist man sonst mindestens eine Stunde später dran und irgendwie macht das schon eine Menge aus. Vielleicht kam diesen Morgen auch erschwerend hinzu, durch einen nicht enden wollenden Hang zu steigen. Direkt hinter der Hütte startet dieser Hang, den man zum Bietschjoch hinaufsteigen muss. Im Dunkeln erklimmt man diesen nahezu monoton. Wenn wir nach oben schauten, fühlten wir weniger Romantik ob des klaren Sternenhimmels als eher leichten Frust ob der immer noch über uns her tanzenden Stirnlampen der Vordermänner. Solange diese noch über uns zu sehen waren, würde der Hang weiter ansteigen.

Nach fast fünfeinhalbtausend Sekunden, von denen es mir so vorkam, als ob ich sie alle gezählt hätte, erreichten wir ein Firnfeld, und der erste Aufschwung war zu ende.


„Oh, wie niedlich.“,
„Ich kann sein Füßchen sehen, nein…, beide!“,
„Und guck mal da, das ist sein Köpfchen, mit dem hellen Punkt vorne...“,
„Es wird ein… ein Alpinist!“

Die vorigen Zeilen waren natürlich Quatsch. Dies hier ist kein Ultraschallbild vom achten Monat, sondern eine Filmszene aufgenommen im Super-Night-Shot Modus von Chucks Kamera.
Vor dem Erreichen des Grates hatten wir noch einen Gletscher mit ein paar Geröllpassagen zu queren, was dort oben zu erkennen ist.


Wir erreichten den Grat am unteren Ende des Berges und erklommen den ersten Aufschwung. Bis dorthin war der Grat eher ein breiter Steinhaufen gewesen, der sich nun bald zu seiner Gratgestalt verjüngte. Wir beschlossen, unsere Stöcke, die uns nun nicht mehr viel nutzen würden, zu deponieren und mit ihnen gleich noch alles andere, was wir nicht auf den Berg hinaufschleppen wollten. Pickel und Steigeisen wiegen eine ganze Menge und bei der bekannten globalen Erwärmung, einem vollen Tag Sonnenschein zuvor und einer angesagten Nullgratgrenze von über 4200m entschieden wir, die Hinweise im Führer auf Firnstellen im Grat zu ignorieren und lieber um ein paar Kilo leichter weiterzuklettern.
Langsam zeichnete sich ab, dass auch diese Nacht ein Ende haben sollte. Die Sonne ging auf und ließ die Gipfel um uns herum aus dem Morgenrot leuchten.


Was man auf dem obigen Bild auch sehen kann, ist ein schattiges Dreieck mit seiner Spitze oben rechts. Das ist unser Gipfel, der uns, da wir auf einem Westgrat kletterten, fast die ganze Zeit Schatten spenden sollte.


Wir hatten uns zu Hause überlegt, bei einer so hohen Nullgradgrenze müsste es doch oben in den Bergen ziemlich warm werden, und die dicken Sachen einfach im Schrank gelassen. Eine Rechnung, die wir ohne den Wirt… äh, Wind gemacht hatten. Es war durch ein kräftiges Lüftchen, das über die Gratkante strich, schweinekalt. Ähnlich gut war übrigens die Idee, Pickel und Steigeisen auf 3400m zu deponieren… denn natürlich gab es Firnflecken, über die wir uns nun vorsichtig hinüberzufürchten hatten.


Um kurz nach 9:00 Uhr traten wir aus dem Schatten das erster Mal in die Sonne (Foto oben). Die letzten Zacken zum Gipfel fielen damit etwas leichter und wir spekulierten darauf, nun nicht mehr frieren zu müssen.


Den Gipfel in einer Höhe von 3934m erreichten wir um 9:19 Uhr. Die Sonne schien, und es war noch kein Wölkchen am Himmel.


Es blies jedoch weiterhin der Wind, der uns, bekleidet mit dünnem Fleece und Regenjacke, schon eine Weile hatte nach warmen Gedanken suchen lassen. An die Felsen unterhalb des Gipfelkreuzes gepresst, zelebrierten wir den gelungenen Aufstieg mit einem Müsliriegel und einer Tafel 27-Cent-Schokolade.


15 kalte Minuten nach unserer Ankunft auf dem Gipfel machten wir uns daran, den langen schmalen Felsgrat wieder abzusteigen.


Das Gestein ist sehr gut und auf dem Grat selbst größtenteils fest :-). Im Abstieg sicherten wir ein wenig mehr als im Aufstieg und kletterten wohl insgesamt etwas langsamer. Normalerweise benötigt man bergrunter weniger Zeit als bergrauf. Abstiege scheinen uns aber nicht zu liegen, und so waren wir erst nach 7 Stunden wieder an der Hütte.


Von der Hüttenwirtin erfuhren wir, dass mehrere Gruppen umgekehrt waren, da sie nicht schnell genug am Grat vorankamen. Für abends waren Gewitter angesagt, was die Geschwindigkeit besonders wichtig machte. Auch wir wollten nach einer Cola schnell weiter, da es noch ein gutes Stück bis ins Tal zum Auto war.

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